Da unser letzter Artikel zum Thema Cannabis als Medizin im Straßenverkehr zu diversen Anfragen bezüglich der Einnahme von Cannabisblüten geführt hat, möchten wir an dieser Stelle das Thema weiter vertiefen. Bei der Einnahme medizinischer Cannabisblüten gibt es drei weit verbreitete Applikationsformen:
– Das Inhalieren mithilfe eines Vaporizers
– Das Rauchen von Joints oder Pfeifen
– Die orale Aufnahme in Form von Gebäck
Ein Blick ins Neue Rezeptur Formularium (NRF) des Apothekerverbandes offenbart allerdings, dass für zwei dieser drei Darreichungsformen gar kein Verordnungsschlüssel existiert. Ärzte und Apotheken dürfen Patienten also weder zum Rauchen von Cannabisblüten noch zum Backen von Keksen animieren oder gar den Patienten eine Anleitung dazu geben. Patienten können sogar durch eine nicht sachgemäße Einnahme wie Rauchen oder in Form von Keksen Ärger mit Polizei und Führerscheinstelle bekommen. Die einzige verordnungsfähige orale Darreichungsform ist eine Teezubereitung. Der wird laut dem Apothekerverein-Saar folgendermaßen hergestellt:
„Bei der Herstellung der Teezubereitung handelt es sich um einen standardmäßigen Ansatz von 0,5 g Droge auf 0,5 l Wasser, der über 15 Minuten am Sieden gehalten wird.“
Der Hauptwirkstoff THC ist jedoch nicht wasserlöslich. Zudem liegt er bei den Blüten aus der Apotheke in nicht decarboxylierter Form vor. Blüten, die vor den oralen Konsum nicht fachgerecht decarboxyliert werden, wirken kaum. Grund genug, der Pressestelle der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) ein paar Fachfragen zukommen zu lassen:
Der Hauptwirkstoff THC ist nicht wasserlöslich. Wasser ist ein bipolares Lösungsmittel und löst meines Wissens zufolge auch nach dem Erhitzen THC nicht aus Pflanzenmaterial. Ist das so richtig?
Wird in der der Rezeptur sicher gestellt, dass das im Cannabis enthaltene THC-A auch bei Temperaturen unter 160 Grad Celsius in THC umgewandelt wird, der Hauptwirkstoff von Cannabis Flos also in decarboxylierter und somit oral applizierbarer Form vorliegt?
Ist es richtig, dass die o.a. Zubereitungsart dafür sorgt, dass der Patient schlussendlich einen fast wirkstofffreien Aufguss erhält?
Darauf antwortet die Pressesprecherin der ABDA:
In den Cannabisblüten liegen die Cannabinoide überwiegend die – im Sinne der beanspruchten medizinischen Indikationen – kaum wirksamen Carboxylverbindungen vor, d.h. THC-A und CBD-A. Die pharmakologisch wirksamen Formen THC und CBD bilden sich durch vor allem durch Wärme, aber auch Licht und Lagerung. Unter den Wachstumsbedingungen bzw. Lagerungsbedingungen von Cannabisblüten werden davon allerdings nur vergleichsweise geringe Mengen gebildet.
Nennenswerte Mengen der pharmakologisch aktiven Substanzen THC und CBD entstehen erst durch Erhitzen. Somit kommen für die therapeutische Anwendung nur Applikationsformen infrage, bei denen Cannabisblüten thermisch behandelt werden. Bei der Herstellung der Teezubereitung handelt es sich um einen standardmäßigen Ansatz von 0,5 g Droge auf 0,5 l Wasser, der über 15 min am Sieden gehalten wird. Die Ausbeute an THC beträgt etwa 10 mg/L, die an THC-A etwa 43 mg/L. Dies erklärt sich durch die begrenzte Wasserlöslichkeit der Cannabinoide und die bei 100 °C nur langsam verlaufenden Decarboxylierungsreaktionen.
„Thermisch behandeln“ ist ein sehr dehnbarer Begriff. Cannabinoid-Experte Dr.Franjo Grotenhermen schreibt zu den Details der notwendigen thermischen Behandlung:
Eine Erhitzung von 5 bis 10 Minuten auf 100 °C, wie sie bei der Zubereitung eines Cannabis-Tees erfolgt, führt nach Untersuchungen an der Universität Leiden nur zu einer unvollständigen Decarboxylierung der Cannabinoide und daher nur zu einer geringen Ausbeute. Bei 100 °C sollte das Pflanzenmaterial für eine Zeitdauer von 60-120 Minuten erhitzt werden. Dies ist beispielsweise bei der Herstellung eines Cannabis-Olivenölextrakts umsetzbar. Dabei können einige Gramm Cannabisblüten in etwas Olivenöl oder ein anderes Öl gegeben werden, das dann in einem kochenden Wasserbad für ein bis zwei Stunden erhitzt wird. Die Cannabinoide und Terpene gelangen in das Öl und werden gleichzeitig decarboxyliert.
Cannabisblüten und -Blätter können auch im Backofen oder in einer Pfanne mit Fett decarboxyliert werden. Allerdings sollte man darauf achten, keine Temperaturen über 150 °C zu erreichen, da THC ab etwa 155 °C verdampft […].
Die in der Rezeptur beschriebene Erhitzung reicht demnach nicht einmal ansatzweise aus. Rechnet man hier genau nach, wird offensichtlich, dass der Aufguss fast wirkstofffrei ist:
0,5 Gramm Cannabis enthalten, je nach Sorte, zwischen 30 und 110mg THC. Davon kommen im Teeaufguss höchstens 5mg an, der Rest landet im Ausguss oder im Biomüll. Somit enthält eine Tasse Tee maximal 2,5mg THC, während 20-55 mg sinnlos vernichtet werden. Diese winzige Dosis ist für die meisten Patienten zudem ohne Wirkung. Das verwundert kaum, denn dank der Apotheken-Rezeptur wandelt sich fast kein THC-A in THC oder CBD-A in CBD um.
Um den enthaltenen Wirkstoff wirklich bioverfügbar zu machen, müssten zwei grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein:
– Das Cannabis muss gut decarboxyliert sein.
– Die Rezeptur muss eine Komponente enthalten, die Cannabinoide lösen kann (wie zum Beispiel Fett oder Alkohol).
Beides ist mit der bislang gültigen Rezeptur nicht umsetzbar.
Genau dosierbare Kekse sind kein Hexenwerk
Das BfArM hat an dieser fast wirkstofffreien Rezeptur anscheinend nichts auszusetzen, rät aber gleichzeitig von einer Darreichungsform ab, die THC erst bioverfügbar macht: Genau dosierte Kekse, die mit zuvor decarboxyliertem, medizinischem Cannabis gebacken wurden.
Doch wenn Patienten fünf Gramm Cannabisblüten mit einem THC-Gehalt von 22% wie von Dr. Grotenhermen beschrieben decarboxylieren, dann zu Hanfmehl grinden, um es dann
mit
50 Gramm Mehl
30 Gramm Butter
20 Gramm Erdnussbutter
20 Gramm Zucker
1/2 Päckchen Vanille-Zucker
zu verrühren und zu einer 4 cm dicken Wurst zu rollen, um diese anschließend 30 Minuten in den Kühlschrank zu legen, könnten sie sich mit einer Waage 20 genau gleich schwere Teigrohlinge abwiegen. Nach dem Backen enthielte dann jeder dieser Kekse genau 110mg THC.
Obwohl das viel einfacher wäre als auszurechnen, wie viel Prozent nicht decarboxyliertes Cannabis durch kochend Wasser gelöst und in THC umgewandelt wird, bleibt die Teezubereitung die einzig ordnungsgemäße Einnahmeform.
Obwohl Kekse und andere Backwaren, wie hier veranschaulicht, anhand eines simplen Dreisatzes einfach und genau zu dosieren sowie weitaus effektiver als eine Teezubereitung wären, müssen Ärzte und Apotheker diese weiterhin als einzige orale Darreichungsform für Cannabisblüten empfehlen.
Zum Schluss schreibt die ABDA:
„Die zur oralen Gabe anzuwendenden Dosen von Cannabis sind um ein Vielfaches höher als die zur Inhalation. Verschiedene Studien und Übersichtsarbeiten zeigen, dass die Mehrzahl der Patienten, die medizinische Cannabisblüten anwenden, 1 bis 3 g Droge pro Tag benötigt.“
Auch das stimmt nur, wenn das Cannabis zuvor nicht decarboxyliert wurde. Dr. Grotenhermen und Prof. Kirsten Müller Wahl schreiben dazu in „Cannabis und Cannabinoide“:
„Übliche Tagesdosen liegen in Abhängigkeit von der THC-Konzentration nach der Dosisfindungsphase zwischen 50mg und 300mg decarboxylierter Medizinal-Cannabisblüten, entsprechend einer Monatsdosis von 1,5-9 Gramm […].“
Das ist nicht wie die ABDA schreibt mehr, sondern liegt weit unter der durchschnittlich verordneten Menge, die, je nach Land, aktuell zwischen 700 und 1600mg Blüten pro Patient und Tag liegt. Es wird Zeit, dass Ärzte und Apotheker eine überarbeitete Rezeptur zur oralen Aufnahme von Cannabisblüten zur Verfügung gestellt bekommen.
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