Meldung des DHV vom 27.10.2010
Drogenkonsumenten sind die Opfer der repressiven Drogenpolitik in Deutschland. Auch wenn konservative Politiker nicht müde werden, öffentlich die Ausgewogenheit ihrer Drogenpolitik zu betonen, arbeitet sich die Polizei vor allem an den Konsumenten ab.
Die offiziellen Vertreter der Regierung würden natürlich niemals behaupten, das Ziel ihrer Drogenpolitik sei die Kriminalisierung von Millionen Bürgern. Das sind für sie allenfalls “unerwünschte Nebeneffekte” wie die UNO die Kollateralschäden im “War on Drugs” nennt. Offizielle Drogenpolitik besteht natürlich aus einem ausgewogenen Dreiklang und klingt dann auch viel netter:
“Unsere verantwortungsbewusste Drogenpolitik verbindet Prävention, Hilfe zum Ausstieg für Süchtige und eine Bekämpfung der Drogenkriminalität mit allen rechtsstaatlichen Mitteln.” – Auszug aus dem Regierungsprogramm von CDU und CSU zur Bundestagswahl 2009
Für Prävention ist ja irgendwie jeder – auch wenn die amtlichen Abstinenzpredigten a la “Keine Macht den Drogen” völlig an der Realität vorbei gehen. Und auch den Süchtigen können die CDU/CSU helfen – solange das nicht der eigenen Ideologie entgegensteht, wie es bei der Heroinabgabe der Fall war. Das Ziel der Repression ist offiziell die “Drogenkriminalität”, also die “bösen” Drogendealer, die großen Fische will man angeblich fangen. Wie viele Menschen unter welchen Umständen von dieser Repression betroffen sind, wird völlig ausgeblendet. Beispielhaft fand dies bei der Vorstellung der Zahlen zur Rauschgiftkriminalität und zu den Drogentoten 2009 in Deutschland statt. Dort wurde nur auf die Drogentoten und erstauffällige Konsumenten harter Drogen sowie Sicherstellungen eingegangen. Den jungen Konsumenten muss man helfen, sagt die Drogenbeauftragte. Die Sicherstellungen sind eine gute Sache, darf der BKA-Präsident verkünden. Erst ein Blick in die Gesamtstatistik und eine Suche nach der Schlüsselzahl 730000 verrät, wie oft Polizisten wegen des Betäubungsmittelgesetzes aktiv wurden und wie viele Menschen betroffen waren: 235.842 Rauschgiftdelikte und 171.586 Tatverdächtige nach dem Betäubungsmittelgesetz im Jahr 2009. Davon waren 72% allgemeine Verstöße nach § 29 BtMG, also konsumbezogene Delikte ohne Schmuggel, Handel, Schusswaffen, Bande oder “nicht geringe” Mengen. Alleine die allgemeinen Verstöße wegen Cannabis machen 43% der Gesamtrauschgiftdelikte aus, das waren 92.227 Tatverdächtige – alleine für 2009.
Die Zeitungen sind voll mit Berichten dieser Repression gegen Drogenkonsumenten. Leider bleiben sie fast immer unkommentiert, die Bevölkerung nimmt sie als Normalität hin. Exemplarisch präsentieren wir heute folgende Fälle:
In Neu-Ulm (Bayern) durchsuchten in der Nacht zu Sonntag 150 Polizisten eine Technodisko. Hierbei wurden laut Zeitungsbericht “alle 145 Gäste körperlich untersucht” – sprich nacheinander in einem Nebenraum gebracht und nackt ausgezogen. Die Bilanz dieser massiven Intervention: Bei 17 Besuchern kleinere Mengen von Betäubungsmitteln & 2 Personen wurden verdächtigt, mit Drogen gehandelt zu haben. Das Ziel dieser Aktion sprechen die beiden zitierten Polizeivertreter, der stellvertretende Dienststellenleiter bei der Neu-Ulmer Polizei und ein Vertreter der Pressestelle des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West offen aus:
“Wie sowohl Resch als auch Finkel betonen, sei der Polizei bewusst gewesen, dass sie bei dieser Razzia wohl kaum große Dealer fassen würden. “Es ging darum, den Leuten aufzuzeigen, dass sie sich keineswegs in einem rechtsfreien Raum bewegen”, sagte Finkel.” – Drogen-Razzia: Discogäste wurden nackt untersucht, Südwest Presse vom 26.10.2010
Ebenfalls am vergangenen Samstag wurde in Buchholz in der Lüneburger Heide ein 22-Jähriger bei einer Verkehrskontrolle positiv auf Cannabis getestet. Nach einer Blutprobe erhielt er allerdings nicht nur eine Strafanzeige wegen Trunkenheit im Straßenverkehr, sondern auch wegen des Erwerbs/Besitzes von Cannabis. Auch wenn es dafür keinen direkten Beweis gibt, argumentiert die Polizei hier gerne folgendermassen:
“Lebensrealität ist es, dass man, um konsumieren zu können, grundsätzlich vorher auch illegale Drogen besessen haben muss” – Aus einem Briefwechsel des Hanfjournals mit der Viersener Polizei aus dem Blogpost “Deutsche Polizei verfolgt Coffee-Shop-Besucher”
Das Problem ist: selbst wenn dieses Verfahren vom zuständigen Gericht direkt wieder eingestellt würde, bleibt diese Anzeige in der polizeilichen Kriminalakte des Betroffenen und der junge Mann kann sich für die nächsten Jahre darauf gefasst machen, dass er in jeder Polizeikontrolle bis auf die Unterhose oder noch weiter gefilzt wird.
Eigentlich sollten derartige Akteneinträge nach einigen Jahren gelöscht werden, allerdings berichten Anwälte und Datenschutzbeauftrage regelmässig davon, dass die Polizei sich damit deutlich mehr Zeit lässt, als es die gesetzlichen Fristen vorgeben. Noch weiter geht der Fall des Rechtanwaltes Udo Vettel. Dieser berichtet von einem Mandaten, bei dem die Polizei sogar nach einem Freispruch weiter die Daten über das Ermittlungsverfahren gespeichert hielt.
- “Deutsche Polizei verfolgt Coffee-Shop-Besucher”, DHV-Cannabis-Blog vom 19.12.2008
- Neues aus dem Land der entkriminalisierten Konsumenten, Meldung des DHV vom 20.10.2010
- Urteile aus dem Land der entkriminalisierten Konsumenten, DHV-Cannabis-Blog vom 13. August 2009
- DHV-Thema: Schluss mit Krimi
- DHV-Thema: Videos von Repressionsfällen
Quellen:
- Zahlen zur Rauschgiftkriminalität und zu den Drogentoten 2009 in Deutschland veröffentlicht, 25. März 2010 – Pressemitteilung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung und des Präsidenten des Bundeskriminalamtes
- Polizeiliche Kriminalstatistik 2009, Bundeskriminalamt
- Drogen-Razzia: Discogäste wurden nackt untersucht, Südwest Presse vom 26.10.2010
- POL-WL: Wochenendmeldungen PI Harburg, Polizeibericht vom 24.10.2010
- In Erscheinung getreten, lawblog.de, 11.10.2010
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