Wie jedes Jahr hat das kanadische Gesundheitsministerium Health Canada den aktuellen Canadian Cannabis Survey (CCS) vorgelegt. Es handelt sich um eine groß angelegte Befragung der gesamten Bevölkerung. Der CCS bildet gemeinsam mit den Daten des National Cannabis Survey (NCS) von Statistics Canada die Grundlage der anstehenden Evaluation nach fünf Jahren Legalisierung.
Kanadas Parlament stimmte im Juni 2018 der Legalisierung von Cannabis zu. Schon im Oktober 2018 eröffneten die ersten Shops ihre Pforten und markierten damit den Beginn des legalen Verkaufs. Um die Auswirkungen der Legalisierung zu beobachten, wurde ab 2018 mit der Erhebung vieler Daten begonnen, obwohl schon das Jahr 2017 das eigentliche Vergleichsjahr “vor der Legalisierung” war. Über die Jahre wurde versucht, das Studiendesign des CCS einheitlich zu halten, um eine hohe Vergleichbarkeit der Daten zu ermöglichen. Immer wieder wurden jedoch auch neue Fragestellungen aufgenommen, wenn sich gezeigt hatte, dass wichtige Aspekte bisher keine Berücksichtigung gefunden hatten. In diesem Jahr wurden daher erstmals Fragen zu den Themen “Werbung für Cannabis” und “versehentlicher Konsum von Cannabis” aufgenommen.
Entwicklung der Konsumentenzahlen und Produktpräferenzen
In der gesamten Bevölkerung ist der Anteil der Konsumenten nach einem Rückgang von knapp 2% im letzten Jahr um 2% gestiegen*. Ein signifikanter Anstieg war besonders in den Gruppen der Frauen (+ 3%, Vorjahr: -1%) und der Erwachsenen über 25 Jahren (+3%, Vorjahr: – 2%) feststellbar. Bei den Jugendlichen blieb der Anteil der Konsumenten unverändert und bei den jungen Erwachsenen (20 – 24 Jahre) nahm er leicht um 1% zu (Vorjahr: -3%). Trotz dieser Schwankungen lassen sich Trends über die letzten fünf Jahre erkennen:
Insgesamt nahm der Anteil der Konsumenten von 2018 bis 2022 um 5% zu (2017: 22%). Der deutlichste Zuwachs ist in der Gruppe der Frauen zu verzeichnen (+7%), gefolgt von den 20 bis 24-Jährigen und der Gruppe 25+(jeweils +6%).
Vor allem in der Risikogruppe der 16 bis 19-Jährigen scheint sich der Konsum nach einer anfänglichen Zunahme in den Jahren 2019 und 2020 wieder nahezu auf den Ausgangswert von 2018 eingependelt zu haben. Die Konsumprävalenz liegt damit deutlich unter dem Wert vor der Legalisierung (2022: 37% – 2017: 41%)!
Häufigkeit des Konsums
Bei der Konsumhäufigkeit sind leichte Schwankungen von 1-2% im Vergleich zum Vorjahr erkennbar. Vergleicht man die Werte mit denen von 2017, lassen sich ebenfalls nur geringe Veränderungen feststellen. Der Anteil der Gelegenheitskonsumenten mit “weniger als 1 Tag pro Monat” (2022: 34% – 2017: 36%) und der Personen mit “täglichem Konsum” (2022 und 2017: 18%) hat sich kaum bzw. gar nicht verändert. Auch in den anderen Konsumgruppen gibt es keine starken Veränderungen. Die Werte schwanken lediglich um 1-2% von Jahr zu Jahr.
Konsumformen: Was und wie wird konsumiert?
Noch immer sind Blüten mit 68% das beliebteste Cannabisprodukt unter den Kanadiern. Allerdings nahm deren Anteil auch 2022 im Vergleich zum Vorjahr (-3%) weiter ab. Vergleicht man dies mit 2017 (88% Blüten), so gestaltet sich die Entwicklung umso deutlicher. Bei den Edibles, die an zweiter Stelle rangieren, gab es keine Veränderung zu 2021 (konstant 53%). Verglichen mit 2017 (32%) ist jedoch eine deutlich stärkere Nutzung dieser Produktgruppe zu beobachten.
Die größten Veränderungen zum Vorjahr traten bei der Nutzung von Vape Pens/ E-Zigaretten (+4%), THC-haltigen Getränken (+3%) und Cannabis-Öl zur oralen Einnahme (-4%) auf. Hierzu gibt es leider keine direkten Vergleichswerte zu 2017.
Das Rauchen (70%) bleibt zwar weiterhin die verbreitetste Konsumform, jedoch ist ein Rückgang um 4% gegenüber 2021 zu verzeichnen. Im Vergleich zu 2017 (Rauchen: 94%) fällt der Rückgang mit -24% sehr deutlich aus.
Eine deutliche Zunahme ist bei Edibles zu beobachten (2017: 23% – 2022: 53% +20%). Die Anwendungsform des Vaporisierens nahm von 2018 (33%) bis 2022 (36%) leicht zu.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass weniger schädliche Konsumformen wie die orale Aufnahme und das Verdampfen zunahmen und das Rauchen/Verbrennen als schädlichste Konsumform von Cannabis langsam verdrängen. Zudem werden neuartige Produkte zur oralen Anwendung wie cannabishaltige Getränke von den Konsumenten immer mehr angenommen, so dass eine weitere Verschiebung in Richtung weniger schädlicher Konsumformen zu erwarten ist.
Unfälle passieren – unbeabsichtigter Konsum
Erstmals wurden die Teilnehmer des CCS auch zu versehentlichem Cannabiskonsum im eigenen Haushalt in den letzten 12 Monaten befragt (“if anyone or any pets in their household had accidentally consumed cannabis”). 1% der Teilnehmer gab an, dass es im eigenen Haushalt zu Fällen eines versehentlichen Konsums kam. Die Antworten schlüsselten sich folgendermaßen auf (Mehrfachnennungen möglich):
- 48% Haustier
- 23% Erwachsener
- 22% der Teilnehmer selbst
- 13% Teenager (13+ Jahre)
- Für Kinder unter 13 Jahren waren die Angaben zu gering, um eine seriöse Abschätzung zu geben
Trotz der Tatsache, dass nahezu die Hälfte der gemeldeten Fälle auf Haustiere entfiel (diesen gegenüber besteht auch eine Sorgfaltspflicht!), sind 1% zu viel! Es zeigt sich deutlich, dass bei der Lagerung von Edibles ein hohes Maß an Eigenverantwortung gefordert ist, um Fälle unbeabsichtigten Konsums, vor allem durch Dritte, zu verhindern. Aufklärung und Hinweise zur korrekten Lagerung von Cannabisprodukten sollten daher auch weiterhin stattfinden.
Dass die Zahl der Fälle bei Kindern so gering ausfällt, könnte auch ein positiver Effekt der in Kanada verwendeten kindersicheren Verpackungen sein. Hieran kann sich der deutsche Gesetzgeber bei den zukünftigen Regularien für den Umgang mit Edibles durchaus orientieren.
Aufgeklärtheit und Gefahrenwahrnehmung
Hinsichtlich der Einschätzung des Gefahrenpotentials von Cannabis und ob häufiger Cannabiskonsum eine Abhängigkeit bedingen könnte, gab es keine großen Unterschiede zum Vorjahr, aber ein deutlich erhöhtes Problembewusstsein im Vergleich zu 2017 (ausführliche Zahlen im Abschnitt Jugendschutz).
Einen deutlichen Rückgang gab es jedoch in der Wahrnehmung von Aufklärungskampagnen in puncto Cannabis. 2022 gaben 48% der Befragten an, sich nicht erinnern zu können, eine Aufklärungskampagne gesehen zu haben. 2021 lag dieser Wert nur bei 38%. Ob dies ein Zeichen für eine Abstumpfung gegenüber der Thematik zu werten ist, oder die Sichtbarkeit der Kampagnen tatsächlich abgenommen hat, sollte untersucht werden.
Cannabusiness – Die Auswirkungen der Legalisierung auf den Schwarzmarkt
Erstmals seit der Legalisierung Ende 2018 sank das Volumen des legalen Markts im ersten Quartal 2021 laut den Angaben des NCS. Da zeitgleich auch der Schwarzmarkt weiter an Umsatz einbüßte, ist jedoch nicht von einer Abwanderung vom legalen in den illegalen Markt auszugehen.
Vielmehr scheinen in diesem Quartal andere Effekte einen Einfluss auf den Umsatz gehabt zu haben. Auch im Vorjahr (Q4 2020 -> Q1 2021) war eine ähnliche Entwicklung zum Jahreswechsel zu beobachten, auch wenn damals lediglich eine Stagnation zu verzeichnen war. Eine mögliche Erklärung könnte darin bestehen, dass im jeweils letzten Quartal des Jahres mehr Cannabisprodukte gekauft wurden und anschließend im Folgejahr dieser Überschuss erst aufgebraucht wurde und zudem der durchschnittliche Preis z.B. durch Rabattaktionen und Abverkäufe sank. Die Zahlen zu den verkauften Produkteinheiten legen dies zumindest nahe.
Über den gesamten Zeitraum (Q1 – Q3 2022, Q4 lag noch nicht vor) zeigt sich jedoch abermals der bekannte Trend, dass der illegale Markt schrumpft und der legale Markt zunimmt. Die weitere Hinwendung der Konsumenten zu legalen Bezugsquellen spiegelt sich auch in den Daten des CCS wider. 61% der Befragten gaben an, ihre Cannabisprodukte in legalen Geschäften zu kaufen. Dies entspricht einer Zunahme um 8% gegenüber 2021 (53%). Weitere 8% erwarben ihre Produkte bei legalen Onlineshops und damit 3% weniger als im Vorjahr. Dies könnte in Zusammenhang mit den Lockdowns der Coronapandemie stehen, da die Möglichkeit des Einkaufs im Ladengeschäft 2021 nicht immer gegeben war und der Onlinehandel insgesamt stark zunahm. Der anschließende Rückgang 2022 scheint auf einen bevorzugten Kauf in Ladengeschäften hinzudeuten, wo man im Unterschied zum Onlinehandel die Produkte vor dem Kauf begutachten und daran schnuppern kann.
Weiterhin wichtige Bezugsquellen scheinen Freunde/ Familie ( 10%/ 3%) und der Eigenanbau zu sein (8%.). Die Varianz bei diesen Angaben fällt über die Jahre gering aus. Der Durchschnitt beim Eigenanbau lag bei 3,5 Pflanzen pro Person (vier Pflanzen max. erlaubt).
Das Kaufverhalten scheint sich jedoch nicht immer klar zwischen legalem und illegalem Markt zu unterscheiden. 67% (+4%) gaben an, niemals auf dem illegalen Markt zu kaufen und 5% kauften ausschließlich auf dem illegalen Markt. Zwischen diesen beiden Polen finden sich jedoch auch Teilnehmer des CCS, die zwischen legalem und illegalem Markt wechseln und wiederum andere, die weder auf dem legalen noch auf dem illegalen Markt einkaufen und sich anderweitig z.B. durch Eigenanbau versorgen.
Gründe für die Wahl der Bezugsquellen wurden ebenfalls erhoben. Hier zeigte sich wie bereits im Vorjahr ein hohes Bewusstsein für Preis, Versorgungssicherheit und Qualität.
Interessant ist die deutliche Abnahme der Nennung “Bezug von einer legalen Quelle” als wichtiger Faktor für die Entscheidung. Hier zeigt sich wohl eine Art Gewöhnungseffekt. Für viele ist es nichts besonderes mehr, Cannabis legal zu kaufen, sondern selbstverständlich. Stattdessen hat nun die “Nähe zum Verkäufer” eine deutlich höhere Priorität im Vergleich zum Vorjahr.
Werbung
Die Möglichkeiten für Cannabis zu werben, sind in Kanada im Gegensatz zu vielen US-Staaten sehr eingeschränkt. Erlaubte Werbung darf ausschließlich Erwachsene adressieren und ihr Inhalt ist strikt begrenzt auf informationelle Werbung und Werbung zur Markenpräferenz. Falls Werbung im Radio oder im Internet ausgespielt wird, müssen angemessene Vorkehrungen getroffen werden, damit Minderjährige nicht Empfänger der Werbebotschaften sind.
Um die Auswirkungen dieser Richtlinien zu prüfen, fragte der CCS erstmals auch die Wahrnehmung von Werbung für Cannabis ab. Eine knappe Mehrheit (51%) gab an, keine Werbung für Cannabis gesehen zu haben. Alle anderen Teilnehmer gaben an, Werbung in verschiedenen Kontexten wahrgenommen zu haben. Mehrfachnennungen waren möglich.
Die Ergebnisse lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Werbung im Kontext eines Fachgeschäfts (außerhalb des Geschäfts 24% / im Laden 13%) und Werbung in der generellen Öffentlichkeit. Die erste Kategorie erscheint relativ unproblematisch und vereinbar mit den Werberichtlinien. Werbung in TV und Radio könnte zumindest ab einer gewissen Uhrzeit die Erfordernisse des Jugendschutzes erfüllen und Websites z.B. eine Altersprüfung vornehmen.
Anzeigen auf Social Media und Plakate in der Öffentlichkeit hingegen unterlaufen den Gedanken des Jugendschutzes. Sie filtern die Adressaten der Werbebotschaft nicht bzw. nur ungenügend und verstoßen deshalb klar gegen die kanadischen Richtlinien. Allerdings könnte es sich bei der wahrgenommenen Werbung auch um eine Verwechslung handeln, denn Aufklärungskampagnen werden sowohl auf Social Media als auch auf Plakatwänden geschaltet. Die anstehende Evaluation der Legalisierung wird diese Beobachtungen sicher sehr ernst nehmen und gegebenenfalls nachsteuern bzw. eine strengere Handhabung der Regularien anmahnen.
Jugendschutz und Legalisierung
Das Mindestalter für den Erwerb von Cannabisprodukten in Kanada liegt je nach Provinz zwischen 18 und 21 Jahren. Zusammen mit dem bereits erwähnten Werbeverbot gegenüber Minderjährigen und Aufklärungskampagnen zu den Gesundheitsgefahren soll so der Jugendschutz gewährleistet werden.
Der Erfolg dieser Kampagnen lässt sich mittels der Aufgeklärtheit bezüglich der Gefahren des Cannabiskonsums abschätzen. So wird seit 2017 im Rahmen des CCS gefragt, ob der Konsum von Cannabis zu einer Abhängigkeit führen könne. 2017 bejahten dies 77% aller Befragten und 74,5% der 16 – 19-Jährigen. 2022 lag der Wert in der Gesamtbevölkerung bei 89,5% und bei 95,4% in der Gruppe 16 bis 19!
Diese Aufklärung zeigt sich auch in Bezug auf das Rauchen als schädlichste Konsumform. Seit 2019 fragt der CCS, ob Cannabisrauch schädlich sein könne. In der Gesamtbevölkerung bejahten dies 2019 76,2%. In der Gruppe 16 – 19 lag der Wert damals nur bei 72,1%. 2022 stieg der Wert bei allen Befragten auf 77,8% und bei den 16 – 19-Jährigen auf 81,7%.
Das Durchschnittsalter des Erstkonsums steigt seit 2017 sowohl insgesamt (2017 18,7 Jahre 2022 20,5 Jahre), als auch in den Gruppen 16 -19 (2017 15,1 Jahre 2022 15,9 Jahre) und 20 -24 (2017 16,4 Jahre 2022 17,4 Jahre) stetig an!
Es zeigt sich also, dass die Gefahrenwahrnehmung allgemein und bei den Jugendlichen sogar überproportional im Vergleich zur Gesamtbevölkerung angestiegen ist. Weiterhin ist eine generelle Verschiebung zu weniger schädlichen Konsumformen feststellbar. Die kanadischen Aufklärungskampagnen wirken und zeigen, dass insbesondere bei Jugendlichen eine wissenschaftlich seriöse und vorurteilsfreie Substanzkunde positive Effekte hat. Zusammen mit der Angebotsreduzierung durch den Rückgang des Schwarzmarktes können eindeutig positive Auswirkungen der Legalisierung auf den Jugendschutz festgestellt werden!
* Formal korrekt müssten wir hier und im Folgenden von einem Anstieg/Rückgang von 2 Prozentpunkten sprechen, nicht Prozent. Wir bleiben hier zugunsten der Lesbarkeit bewusst etwas umgangssprachlich.
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