Am Mittwoch, 15.03.2023, findet im Gesundheitsausschuss des Bundestages eine Anhörung zu einem Antrag der Linken auf Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten statt. DHV-Sprecher Georg Wurth wird als Sachverständiger dabei sein. Hier dokumentieren wir seine schriftliche Stellungnahme. Weitere Informationen zur Anhörung, insbesondere weitere Stellungnahmen und die Anträge von Linken und CDU/CSU sind hier zu finden.
Stellungnahme des Deutschen Hanfverbands (DHV) zur Öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages am 15.03.2023 zu den Anträgen der Fraktion DIE LINKE „Entkriminalisierung von Cannabis“ (BT-Drucksache 20/2579) und der CDU/CSU-Fraktion „Patientenversorgung mit Cannabisarzneimitteln verbessern“ (BT-Drucksache 20/5561)
Entkriminalisierung der Konsumenten
Strafverfahren für den Besitz von Cannabis abschaffenAls Deutscher Hanfverband sind wir natürlich seit jeher für die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten. Nach Bildung der Ampel-Regierung war klar, dass die Legalisierung, also die vollständige Regulierung des Cannabismarktes inklusive Fachgeschäften für Erwachsene, ein jahrelanger Diskussionsprozess über die vielen zu regelnden Details werden würde. Außerdem war klar, dass es erhebliche grundsätzliche Probleme zu überwinden galt, so dass bis heute unklar ist, ob die Legalisierung überhaupt kommen wird. Deshalb haben wir damals die Entkriminalisierung innerhalb der ersten 100 Tage der Regierung gefordert. Im Gegensatz zur kompletten Marktorganisation wäre das rechtlich und inhaltlich eine Kleinigkeit gewesen. Für die Entkriminalisierung einer kleinen Besitzmenge zum Eigenverbrauch sind nur wenige Zeilen im BtMG nötig, während die Regulierung des Marktes „ein halbes Gesetzbuch“ notwendig macht.
Dazu kam, dass sich die Ampelfraktionen offensichtlich einig waren, dass der Besitz einer geringen Menge legal werden wird, auch wenn das nicht explizit im Koalitionsvertrag steht. Schließlich wäre es völlig unsinnig, das anders zu handhaben, wenn die Ware ganz legal verkauft werden darf. Dass die Ampel-Regierung nicht sofort gehandelt hat und alles gleichzeitig in einem großen Paket machen wollte, halten wir für einen Fehler. Die letzten verfügbaren Zahlen von 2021 zeigen, dass es jährlich ca. 180.000 Strafverfahren wegen konsumbezogener Cannabisdelikte in Deutschland gibt (ohne Handel). Über 80% der Strafverfahren wegen Cannabis richten sich gegen Konsumenten, im Durchschnitt ca. 500 Strafverfahren pro Tag. Seit Beginn der Ampelregierung gab es demnach deutlich über 200.000 weitere Strafverfahren im Krieg gegen Cannabiskonsumenten.
Natürlich ist die Entkriminalisierung der Konsumenten keine Lösung für all die Probleme, die Prohibition mit sich bringt. Es wird ohne Marktregulierung weiterhin einen Schwarzmarkt geben, kriminelle Strukturen werden weiter den Umsatz einstecken und die Gesundheit der Konsumenten durch fragwürdige bis gefährliche Ware gefährden, der Staat wird weiterhin jedes Jahr Milliarden Euro für die gescheiterte Prohibition aus dem Fenster werfen. Aus all diesen Gründen ist es wichtig, weiterhin an der Regulierung des Marktes zu arbeiten. Da bei einer Entkriminalisierung nicht mit einer wesentlich größeren Nachfrage zu rechnen ist, werden sich diese Probleme allerdings auch nicht verschärfen, sie bleiben einfach bestehen.
Doch ein großes Problem löst die Entkriminalisierung der Konsumenten, nämlich die Kriminalisierung der Konsumenten! Drogenpolitik ist nicht nur Gesundheitspolitik, sondern auch ein Bürgerrechtsthema. Die staatliche Verfolgung von Menschen, die niemand anderem etwas zuleide tun und deren einziges Verbrechen es ist, sich für ein anderes Genussmittel als den staatlich vorgeschriebenen Alkohol zu entscheiden, zerrüttet das Verhältnis des Staates zu einem erheblichen Teil der Bevölkerung – und ist nach unserer Auffassung verfassungswidrig.Unabhängig davon, ob am Ende tatsächlich eine Bestrafung erfolgt oder nicht, ist schon die Eröffnung eines Strafverfahrens ein sinnlose Stigmatisierung und für unbescholtene Bürger nicht akzeptabel. Ein Strafverfahren kann im Übrigen mit sehr verletzenden Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen verbunden sein. Dazu gehören genaue Untersuchungen des Intimbereichs, Kommunikationsüberwachung, Erkennungsdienstliche Behandlungen (Fotos, Fingerabdrücke), Hausdurchsuchungen, allgemein erniedrigendes Verhalten von Polizeibeamten. Und in vielen Fällen ist am Ende eben doch eine Strafe fällig, z.B. oft bei „Wiederholungstätern“.
Deshalb schlage ich eine Formulierung im BtMG vor, nach der der Besitz von X Gramm Cannabis zum Eigenverbrauch „nicht strafbar“ ist. Nach der aktuellen Geringe-Menge-Regelung bleibt der Besitz auch der kleinsten Menge Hanfblüten eine Straftat, die unter bestimmten Umständen nur nicht bestraft wird. Wenn der Besitz zum Eigenverbrauch „nicht strafbar“ wäre, handelte es sich nicht weiter um eine Straftat, sondern um legales Verhalten. Nur dann müsste die Polizei kein Strafverfahren eröffnen, die Konsumenten könnten ihre Ware behalten. Das ist die einzig logische Konsequenz, wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass zumindest auf der Ebene der Konsumenten keine Fremdgefährdung und kein Unrechtsgehalt vorliegt. Außerdem kann nur so die Polizei von hunderttausenden Strafverfahren entlastet werden. Auch die Formulierung im Antrag der Linksfraktion ist geeignet, dieses Ziel zu erreichen, sie hat mit „…ist erlaubt“ die gleiche Wirkung wie „nicht strafbar“:
„Volljährigen ist der Erwerb und Besitz von bis zu 30 g Cannabis oder Cannabisharz im Sinne der Anlage 1 zu diesem Gesetz erlaubt.“
Die vorgeschlagene Menge von 30 Gramm ist vorerst akzeptabel, wäre aber im Rahmen der weiteren Debatte um die Details der Marktregulierung nochmal zu diskutieren.
Eine solche konsequente Entkriminalisierung wäre kompatibel mit Europarecht. Malta hat als erstes europäisches Land im Dezember 2021 den vollständig legalen Besitz einer geringen Eigenverbrauchsmenge für Cannabis eingeführt. Auch im Bundesrat wäre eine solche BtMG-Änderung m.E. nicht zustimmungspflichtig.Eigenanbau zulassen
Weiter enthält der Antrag der Linksfraktion, den Eigenanbau von Cannabis zum Eigenbedarf zuzulassen. Auch hier soll nicht nur von einer Strafe abgesehen werden, sondern der Eigenanbau soll vollständig legal werden. Auch das hat Malta im Dezember 2021 offenbar europarechtskonform eingeführt und auch das ist m. E. ohne Zustimmung des Bundesrates möglich.
Wir teilen die Forderung nach legalem Eigenanbau. Dadurch würden weitere Probleme der Prohibition aufgelöst oder zumindest abgemildert. Mit jeder durch Konsumenten selbst angebauten Pflanze verlieren kriminelle Strukturen des Schwarzmarktes Umsatz. Außerdem haben die Konsumenten damit selbst die Kontrolle über den Anbau und sind sicher vor Streckmitteln und den gefährlichen synthetischen Cannabinoiden.
Die im Antrag geforderten drei weiblichen Pflanzen finden sich auch im Cannabis-Kontroll-Gesetz der Grünenfraktion, sind aus unserer Sicht aber zu wenig. Auch das wäre also im weiteren Verlauf der Legalize-Debatte noch einmal zu diskutieren. In den Eckpunkten des DHV zur Legalisierung, die wir ausgiebig mit der Community diskutiert haben, heißt es dazu:„Eigenanbau und Anbauclubs
Der Eigenanbau von Cannabis zur Deckung des eigenen Konsums sollte ohne den Erwerb einer besonderen Lizenz und ohne Zahlung von Steuern legal möglich sein. Analog zum Bierbrauen (15) ist eine einfache Meldung an das Hauptzollamt, die keine automatische Kontrolle nach sich zieht, vorstellbar.
Wenn eine Begrenzung des privaten Eigenanbaus zur Selbstversorgung politisch gewünscht ist, plädieren wir dafür, die Zahl der Pflanzen auf mindestens 10 (weiblich, blühend) zu begrenzen. Samen, Stecklinge und Mutterpflanzen sind davon nicht betroffen.
Eine Obergrenze für die Cannabismenge, die Zuhause gelagert werden darf, lehnen wir ab. Dies gilt auch für Personen, die nicht selbst anbauen (16).
Auch der Outdoor-Anbau von Cannabis im privaten Garten oder auf dem Balkon muss erlaubt sein. Die unentgeltliche Abgabe bzw. das Verschenken von kleinen Mengen Cannabis oder von Stecklingen/Samen an erwachsene Freunde, z.B. aus eigenem Anbau, ist ebenso erlaubt.
Im Rahmen dieses privaten Eigenanbaus sollten auch Anbauclubs wie in Spanien und Uruguay möglich sein, in denen gemeinsam angebaut und die Ernte an die Mitglieder ausgegeben wird. In entsprechenden Vereinsräumlichkeiten sollte der Konsum vor Ort möglich sein. Die CSC sollten entsprechend dem Vereinsrecht (17) nicht kommerziell ausgerichtet sein. Auch Touristen sollte der Zugang gestattet sein.“In einem ersten Schritt wären sicherlich auch drei weibliche Pflanzen ein großer Fortschritt. Der Antrag berücksichtigt auch, dass es bei Eigenanbau eine höhere erlaubte Besitzmenge geben muss, um die Ernte zu lagern. Ich möchte zusätzlich noch darauf hinweisen, dass auch eine Anhebung der Definition der „nicht geringen Menge“ Cannabis geben muss, die derzeit von Gerichten bei 7,5g THC festgelegt wurde. Die Überschreitung dieser Menge bedingt höhere Mindeststrafen nach §30a BtMG. Wer eine Jahresernte Zuhause lagert, wird diese Menge mit Leichtigkeit überschreiten, z.B. bei mehr als 50 Gramm Hanfblüten mit 15% THC.
Außerdem wird nicht adressiert, wie der Konsument an Pflanzen-Nachschub kommen soll. Hanfsamen zu solchen Zwecken würden zwar quasi automatisch mit legalisiert, denn laut Anlage 1 BtMG sind Hanfsamen legal, wenn sie „nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt“ sind. Aber was ist mit kleinen Stecklingen und solchen, die sich später als männliche Hanfpflanzen herausstellen? Drei gesunde, kräftige, weibliche Pflanzen fallen nicht vom Himmel. Es wäre also sinnvoll, ausdrücklich drei weibliche, blühende Pflanzen zuzulassen sowie weitere kleinere Pflanzen in unterschiedlichen Wachstumsstadien.
Wir begrüßen den Antrag der Linksfraktion ausdrücklich, sowohl was die Entkriminalisierung des Besitzes als auch des Eigenanbaus angeht. Die konsequente Entkriminalisierung der Konsumenten ist längst überfällig. Im Lichte der anstehenden, aber zähen Legalisierungsbemühungen ist die massenhafte Verfolgung der Konsumenten nicht mehr zu rechtfertigen. Im Gegenteil: Die staatliche Verfolgung von Cannabiskonsumenten ist ein Unrecht, das so schnell wie möglich beendet werden muss!Führerschein-Reform
Auch im Führerscheinrecht liegt eine massive Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsumenten. Der Entzug der Fahrerlaubnis bei nüchternen Cannabiskonsumenten ist ebenfalls eine Art der Kriminalisierung. Auch hier herrscht dringender Handlungsbedarf, unter anderem beim THC-Grenzwert für den Straßenverkehr, wie auch der Verkehrsgerichtstag im August 2022 festgestellt hat. Auch hierzu gibt es einen Antrag der Linken, den wir begrüßen, der allerdings nicht im Rahmen dieser Anhörung besprochen wird, sondern im Verkehrsausschuss. Von daher sei dies hier nur am Rande erwähnt.
CDU/CSU-Fraktion „Patientenversorgung mit Cannabisarzneimitteln verbessern“
Wir begrüßen auch den CDU-Antrag im Sinne eines offenbar notwendigen Impulses für das Thema Cannabis als Medizin. Seit Jahren beteuern praktisch alle Fraktionen den Reformbedarf. Ursprünglich war laut Gesetz eine Ablehnung der Kostenübernahme für medizinisches Cannabis durch die gesetzlichen Krankenkassen nur in begründeten Ausnahmefällen vorgesehen. In der Praxis wird aber ca. ein Drittel der Anträge abgelehnt und die Ärzte wurden schnell dahingehend erzogen, dass sie es bei diversen Krankheiten abseits von Schmerzbehandlung gar nicht erst mit einem Erstattungsantrag versuchen. Das schränkt die Therapiehoheit der Ärzte in unangemessener Weise ein und verengt die eigentlich sehr breite Anwendungsmöglichkeit von Cannabis bei vielen Krankheiten zulasten der Patienten.
Der Genehmigungsvorbehalt für die Krankenkassen muss daher abgeschafft werden, wobei die Ärzte vor Regressansprüchen durch die Krankenkassen zu schützen sind.
Georg Wurth
Geschäftsführer
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